Im Verkehrsrecht gibt es zahllose Schlagwörter und Allgemeinplätze. Ein Beispiel ist die Aussage : „Wer auffährt hat grundsätzlich die volle Schuld am Unfallgeschehen.“ Sie ahnen es schon – hierbei handelt es sich zwar um einen Grundsatz, aber auch nur um eine grobe Orientierung. Denn grundsätzlich gehören zu einem Unfall immer mindestens zwei Unfallbeteiligte und jeder dieser Beteiligten, ob Vorausfahrender oder Hintermann, kann für den Zusammenstoß verantwortlich sein. Die Schuldfrage ist vor diesem Hintergrund also immer im Einzelfall zu prüfen, denn nie sind die Unfallkonstellationen immer gleich.
Nachfolgend die prägnantesten Ausnahmen vom erwähnten Grundsatz: Bremst der Vorausfahrende z. B. ohne ersichtlichen Grund, trägt er zumindest eine Teilschuld am Unfallgeschehen und begeht selbst einen Verkehrsverstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO. Gleiches gilt, wenn der Vorausfahrende z. B. in einer Warteschlange vor der Ampel stehend plötzlich rückwärts rollt, oder aber ohne genügende Sorgfalt zu beachten rückwärtsfährt ( z.B. um sich im stehenden Verkehr auf eine andere Fahrspur einzuordnen).
Ein weiterer, typischer Fall ist auch das abrupte Abbremsen vor einer Radaranlage, oft auch auf eine Geschwindigkeit weit unterhalb der erlaubten Höchstgeschwindigkeit. Denn: Ein etwaiges Bußgeld ist kein „so hohes Gut“, dass dies die Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs rechtfertigt (so z. B. Urteil des Oberlandesgerichtes Hamm, OLGR 1993, 19). Die Haftungsquote und die Schuldfrage hängen sodann selbstverständlich immer davon ab, wie sich das Unfallgeschehen objektiv darstellt und beweisen lässt. Der berühmte Unterschied zwischen „Recht haben und Recht bekommen“ ist dann zu beachten. Im Falle eines Unfalles sollten Sie daher im Zweifel anwaltlichen Rat suchen und sich fachlich beraten lassen.
Vor allem aber: Fahren Sie stets vorsichtig!
Sven Rübsamen
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht,
Rechtsanwaltskanzlei Prellwitz, Langenfeld